118% Feuerwehr im Blut

70'000 alarmmässige Einsätze arbeiteten die 81’000 Angehörigen der Schweizer Feuerwehren im Jahr 2020 ab. Und sie tun dies neben ihrer normalen Arbeit. Denn von den 1244 Feuerwehr-Organisationen sind nur 16 als Berufsfeuerwehr organisiert. Die grosse Mehrheit der Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmänner rückt von der Arbeit oder vom Mittagstisch weg in den Einsatz und übt abends in ihrer Freizeit. Einer dieser aktiven Feuerwehrmänner ist Marco Moser.

Es ist spät abends. Ich bin in einem Club und tanze mir gerade die Arbeitswoche aus den Gliedern. Ein Mädchen fällt mir auf. Die Nacht entwickelt sich und am Ende habe ich ihre Nummer: «079 het sie gseit». Langer Rede kurzer Sinn: Wir werden ein Paar, sie meine erste Freundin, und ich lerne ihre Familie kennen. In der Besenkammer neben der Garderobe hat ihr Vater die Feuerwehr-Ausrüstung für alle Fälle bereit. Er ist Unteroffizier in der regionalen Feuerwehr, sie ist auch in der Feuerwehr. Bis dahin hatte ich keinen Bezug zur Feuerwehr. Das war vor 20 Jahren.

Ich informiere mich über den Feuerwehr-Dienst in meiner Stadt und erfahre, dass ich mit meinem Feuerwehrdienst einerseits Steuern sparen kann, andererseits lockt mich als Student der Sold. Doch das Monetäre ist ziemlich schnell allen anderen Vorteilen gewichen: Das praktische Arbeiten mit den Händen ist eine willkommene Abwechslung zum Studium, ich darf Neues lernen, kann Kurse besuchen, pflege die Kameradschaft, entwickle mich persönlich weiter und vieles mehr.

Retten und löschen, wo’s nötig ist und brennt

Damals, als Mitglied einer Milizfeuerwehr einer Schweizer Stadt bestand unsere Hauptaufgabe darin, die Berufsfeuerwehr bei grösseren Einsätzen zu unterstützen. Das war nur selten notwendig. An einem Abend, wir waren gerade am Kaderabend, geht die Brandmeldeanlage (BMA) der Kathedrale ab: automatisch werden die Berufsfeuerwehr sowie alle Milizkompanien der Stadt aufgeboten. Es handelte sich um einen Fehlalarm, und wir konnten zurück zu unserer Feierlichkeit. Bei anderen Alarmen konnten wir die Berufsfeuerwehr tatkräftig unterstützen oder sie sogar ablösen. Ich profitierte von den gemeinsamen Einsätzen, von den gemeinsamen Übungen und von der gemeinsamen Kameradschaft.

Die Zeit zog ins Land: Meine Freundin und ich trennten uns, aber die Feuerwehr blieb. Fürs Studium reduzierte ich mein Engagement kurzzeitig. Doch auf einmal absolvierte ich die Ausbildung zum Unteroffizier. Offensichtlich waren meine handwerklichen Schwierigkeiten im Handling mit der Motorspritze nicht so gravierend, als dass ich nicht zum Unteroffizier getaugt hätte.

Wir kämpfen gegen Feuer und Wasser

Mittlerweile bin ich kantonaler sowie schweizerischer Feuerwehr-Instruktor und Vizekommandant einer mittleren Feuerwehr in der Ostschweiz. Wir rücken aus zu allen möglichen Einsätzen: arbeiten Täuschungen von Brandmeldeanlagen ab, schaufeln verschneite und verstopfte Bachläufe frei, bekämpfen kleine Zimmerbrände, löschen brennende Häuser, holen Kühe aus Güllenkästen, putzen Ölspuren auf, unterstützen unsere Nachbarfeuerwehren mit Wassertransporten und pumpen Keller leer.

Der Feuerwehr-Einsatz funktioniert stark hierarchisch, für mich war das anfangs ungewohnt. Aber es macht Sinn, denn demokratische Verhältnisse am Fuss der Leiter funktionieren nicht. Da braucht es klare Führung. Jeder kriegt seine Befehle und arbeitet sie als Trupp im Team ab. Denn ein Mann ist kein Mann – gleiches gilt bei der Frau. Niemand ist allein.

Die eigene Sicherheit ist das höchste Gebot im Feuerwehr-Einsatz. Zuerst sichern wir, denn gefährlich ist es immer. Wir gehen dort rein, wo andere rauskommen. Eine gute Ausbildung ist deshalb enorm wichtig. Glücklicherweise kennt die Schweiz hohe Standards: eine fundierte Grundausbildung, regelmässige Übungen in der eigenen Feuerwehr und weitere Fortbildungen zu den unterschiedlichsten Themen.

Eine Jugendfeuerwehr hilft uns in unserer Region, früh schon Nachwuchs zu finden, der im Alter von 18 Jahren in die reguläre Feuerwehr übertritt. Ebenso stelle ich fest, dass zusehends Neue mittleren Alters den Weg in unser Corps finden: solche, die ihre Lehr- und Wanderjahre hinter sich haben, in Familienplanung sind und nun mit einem Hausbau oder -kauf in unserer Gemeinde sesshaft werden. Ähnlich wie Vereine erleichtert die Feuerwehr den Einstieg in ein neues Lebensumfeld – noch mehr tun dies die Feuerwehrvereine und Rettungscorps.

Mit dem Eintritt in die Feuerwehr sorgt jede Feuerwehrfrau und jeder Feuerwehrmann für die Sicherheit seiner Familie und seiner Nachbarn in der eigenen Gemeinde. Denn von den 1244 Feuerwehr-Organisationen sind nur 16 als Berufsfeuerwehr organisiert. Wer käme denn bei einem Alarm, wenn nicht wir Freiwilligen? Die Feuerwehr ist die einzige Organisation einer Gemeinde, die innerhalb weniger Minuten zahlreiche Männer und Frauen auf Platz bringen kann. Das schafft sonst keine Organisation: keine Polizei, kein Rettungsdienst, kein Zivilschutz, kein Bauhof und keine Gemeindekanzlei.

Der Ehrenkodex «Heiliger Florian»

Für jung und alt, dick und dünn

Am Anfang des Feuerwehrdienstes steht eine fundierte Grundausbildung. Diese variiert von Kanton zu Kanton und von Feuerwehr zu Feuerwehr zeitlich wie auch örtlich. Hingegen ähneln sich die Inhalte: Brandbekämpfung, Rettungsdienst, Motorspritze und teilweise Atemschutz.

Danach folgen regelmässige Abend-Übungen in der eigenen Feuerwehr. Anstatt im Unihockey-Verein zu trainieren oder ein Musik-Instrument zu spielen, üben wir das Feuerwehr-Handwerk. Zwar hat Corona uns unserer antrainierten Automatismen beraubt, aber der Ausbildungsstand ist glücklicherweise weiterhin hoch. Das haben die ersten Einsatzübungen bewiesen. Damit wir möglichst nahe ans Feuer kommen, um es an seiner Wurzel zu bekämpfen, rücken einige Angehörige der Feuerwehr mit Atemschutz vor. Letzthin haben wir alle unsere Fitness unter Beweis gestellt. Die einen Feuerwehren schwören auf einen Zwölf-Minuten-Lauf, andere wenden andere Tests an, wir haben einen 3,5-Kilometer-Marsch im kompletten Brandschutz mit Atemschutzgerät auf dem Rücken absolviert. In regelmässigen Abständen prüft ein Arzt unsere körperliche Tauglichkeit.

Andere Kameradinnen und Kameraden leisten ihren Beitrag an der Gemeinschaft als Feuerwehr-Samariter, im Verkehrsdienst oder in der Einsatzzentrale. Denn wie bei einem Schweizer Uhrwerk braucht es im Einsatz viele unterschiedliche Rädchen, die richtig ineinandergreifen müssen, damit es funktioniert: gross und klein, jung und alt, dick und dünn, schnell drehend oder langsam umsetzend, im Zentrum taktangebend und aussen rotierend. Somit kann beinahe jede und jeder Feuerwehr-Dienst leisten. Die genauen Anforderungen variieren von Kanton zu Kanton und von Feuerwehr zu Feuerwehr.

Am besten können die Kommandanten der örtlichen Feuerwehr-Organisation Auskunft geben. Hier ist die Übersicht der Feuerwehren:

Feuerwehrverzeichnis

Nachwuchs ist wichtig, damit bei einem Alarm jemand ausrückt. Feuerwehr ist zu 99 Prozent Ehrenamt, da stehen ganz normale Menschen hintendran. Wir rücken jederzeit aus: direkt weg von unseren Familien, nachts direkt aus dem Bett und direkt weg von unserer Arbeit.

Interessiert am Feuerwehrdienst?

Wenn Sie am Feuerwehrdienst interessiert sind, finden Sie unter diesen beiden Links die nötigen Informationen:

Feuerwehrverzeichnis

firefighters-gesucht.ch (für die Ostschweiz)

Jederzeit bereit, auch direkt ab der Arbeit

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Mitarbeitenden für den Feuerwehrdienst «für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten». Dies gilt zumindest in jenen Kantonen, in denen der Feuerwehrdienst eine gesetzliche Pflicht darstellt. Im Schweizer Obligationenrecht ist dies unter Art. 324a, Absatz 1 wie folgt geregelt:
«Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine be­schränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist.»

Im Wissen um diese Freistellungspflicht, bedingt es umso mehr eines guten Gespürs eines Angehörigen einer Feuerwehr, wann er wirklich die Arbeit verlassen kann und wann er eben auf den Einsatz verzichten muss. Ich arbeite teilweise auswärts. Wenn dann eine Ölspur in unserer Gemeinde liegt, dann müssen meine Kameraden diese selber aufputzen - einerseits. Andererseits sind meine Kameraden froh, wenn ich bei einem Hausbrand drei Stunden nach Alarmeingang einrücke: Ich bin ausgeruht für den nächsten Atemschutz-Einsatz, helfe beim Aufräumen oder übernehme die Brandwache in der Nacht. Landwirte, die Feuerwehrdienst leisten, sind wiederum froh, wenn sie morgens und abends um fünf Uhr rasch in den Stall können, um ihre Kühe zu melken. Andere Kameradinnen und Kameraden sind froh, wenn sie nur für die erste Welle zum Einsatz kommen.

Verschiedene Gebäudeversicherungen geben Broschüren heraus, um Arbeitgeber von Milizfeuerwehr-Leuten über die Vorteile zu informieren, beispielsweise auch die Basellandschaftliche Gebäudeversicherung:

Info-Broschüre «Doppelt engagiert. Doppelt wertvoll.»

Einmal steckte in unserem Büro der Lift fest und eine Person darin rief um Hilfe. Mit dem Wissen aus der Feuerwehr konnte ich zusammen mit einem Gehilfen die eingeschlossene Person beruhigen, den Lift ausser Betrieb setzen, von Hand die Fahrgastkabine in den nächsten Stock positionieren, sichern, die Türe öffnen und die Person aus ihrer misslichen Lage befreien.

Mit Herz und viel Verstand

Alle Angehörigen einer Feuerwehr-Organisation sind in ein Alarmsystem integriert. Je nach Alarmstufe und Grösse des Ereignisses, Verfügbarkeit, Nähe zum Feuerwehr-Depot, Kaderstufe und weiteren Kriterien, werden mehr oder weniger Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen alarmiert.

Als Kadermitglied unserer Feuerwehr leiste ich jährlich an vier Wochenenden Pikett-Dienst und muss dann in fünf Minuten im Feuerwehrdepot sein. Das muss ich jeweils vorab organisieren, weil meine Frau Teilzeit in einem Spital arbeitet. Ausserhalb der Pikett-Dienste sorge ich teilweise abends, nachts und an Wochenenden für unsere Kinder. Wenn dann der Pager schrillt, schrillt er halt. Dann muss ich mir zuerst überlegen, ob ich in den Einsatz kann und wie ich mich organisiere. Manchmal kann ich einfach nicht in den Einsatz. Auch meine Schwiegereltern haben dann schon auf unsere Kinder aufgepasst, meine Schwiegermutter war selber mal in der Feuerwehr. Unsere Kinder wachsen mit dem Dienst an der Gemeinschaft auf.

Meine Frau dient als Samariter und First Responder in unserer Feuerwehr. Manchmal muss auch sie direkt vom Mittagstisch weg in den Einsatz ausrücken, um beispielsweise einer bewusstlosen Person den Larynxtubus zu setzen. First Responder lernen, dieses Hilfsmittel zur Atemwegsicherung einzusetzen, damit die bewusstlose Person besser atmen kann.

Unsere Kinder sagen bei einem solchen Einsatz: «Mami musste jemandem helfen.» Und wenn der Einsatz länger dauert, weil die First Responder den Einsatz nachbesprechen, verbringe ich den Nachmittag mit unseren Kindern, bis das Mami wieder zurückkommt. Übrigens: Kennengelernt habe ich meine Frau am Weihnachtsmarkt.

Unsere Partner